Der Schnee ist ein Geschenk

Gemeinsam saßen sie beim Essen. Sie hatten sich lange nicht gesehen und allen war klar, dass sie sich auch lange nicht mehr sehen würden. Manche waren das erste Mal dabei, andere kamen schon weit Jahren.
Natürlich gab es wieder veganische Kost. Für manche Neulinge ebenfalls das erste Mal.
Es war nicht leise, es wurde über alles mögliche getrastscht. Wenn ein paar Neulinge dabei waren, gab es immer ein wenig mehr, über das man reden konnte - worüber man vorher noch nie geredet hatte - und bisher waren immer Neulinge dabei gewesen.
Als alle fertig waren und die ersten sich auf den Weg machten, das Geschirr zum Spülen einzusammeln, meldete sich Toshi ab, "ich muss da noch was erledigen.". Sie schwang sich auf das Fahrrad in der Ecke und sauste los. Bis sie an der nächsten Abzweigung links abbog und dann zwischen den Häusern verschwand, konnte sie jeder von den Tischen aus noch beobachten. Blume schaute ihr lächelnd hinterher.

Das Gespräch an den Tischen ging weiter, kaum einer bemerkte, wie das Wetter sich änderte, wie am ansonsten blauen Himmel etwas weiter weg ein paar Wolken auftauchten.
Als Andreas nun doch mal sichtlich verwundert zum Himmel hinauf sah, rief Blume ihm aufgeregt über den Tisch zu: "das ist sie! das ist Toshi!". Natürlich erweckte sie damit auch die Aufmerksamkeit der meisten anderen. Somit gab es sehr schnell ein neues Gesprächsthema: "Was waren das für Wolken? Woher kamen sie? Warum bewegten sie sich so seltsam? Und wie könnte Toshi da irgendwas mit zu tun haben?

Andreas bemerkte als erstes "Das ist Schnee!". Was im Normalfalle zu der Jahreszeit lachhaft gewesen wäre, wurde von den anderen sofort akzeptiert. Schließlich konnte schon bald jeder die Flocken sehen, die dort in der Ferne zu Boden fielen.
Einige schwangen sich ebenfalls auf ihre Fahrräder, um sich dieses Ereignis aus der Nähe anzusehen. Schließlich meinte Simone "Das will ich jetzt aber genau wissen." Der Klang ihrer Stimme machte klar, dass sie das auf andere Art und Weise zu erfahren plante, als mit dem Fahrrad dorthin zu fahren. Sie stieß Andreas an, "kommste mit?".
Zusammen betraten sie die leerstehnde Lagerhalle nebenan.
Andreas wirkte unsicher. "Ist das wirklich so einfach?" Simone lächelte und fasste ihn an den Händen "Schließ die Augen!"
Andreas schloß die Augen. Das war nicht die Zeit, ihr nicht zu vertrauen oder ihren Anweisungen nicht zu folgen.

Beide hielten die Augen auch noch geschlossen, als es kälter wurde und ein leichter Wind zu spüren war.
Erst, als Simone ihm signalisierte, dass es sicher war, öffnete er die Augen wieder und sah sich überrascht um.
Die Halle war verschwunden. Ebenso Blume und die anderen. Sie standen alleine auf einem leeren Feld. Erst in der Ferne waren einige kleine Gebäude zu erkennen.
"Ich vermute, wir müssen dorthin?!", Simone nickte. Zusammen spazierten sie auf die Gebäude in der Ferne zu.

Einige Zeit später waren sie auch bei dem Gebäudekomplex angekommen. Zielstrebig zog Simone ihren Begleiter zu einem kleinerem Gebäude, einem Durchgang. Dort erblickten sie die ersten anderen Menschen seit ihrer Reise. Die beiden schienen in ein Gespräch vertieft, Andreas konnte jedoch das Gespräch nicht verstehen. Einer der beiden, ein älterer Herr, der altmodisch und in dunklen Farben gekleidet war, sah dann finster zu ihnen herüber.

Es dauerte einen Moment, bis Andreas merkte, dass er nicht sie beide, sondern nur Simone so düstern anfunkelte. Sie flüsterte ihm zu, "Lass uns doch besser den langen, äußeren Weg nehmen.".
Auf dem Weg durch andere, längere Hallen und Fluren, sagte Simone kein Wort, so verbrachte Andreas den Weg mit Gedanken.
Er hatte von diesem Mann gehört. Es gab da so Gerüchte, dass es da eine offene Fehde gab, dass irgendjemand mal eine Schatz-,Land-, oder irgendeine ähnliche Karte direkt vor Simones Augen zerrissen und vernichtet hatte, obwohl sie die unbedingt gebraucht hatte. Andreas hatte sich bisher nicht viel aus den Gerüchten gemacht, hatte sie auch nicht mehr genau im Gedächtnis. Zumindest hatte Simone ihm aber nun bekräftigt, dass da irgendetwas dran sein musste.

Simone brach ihr Schweigen, "Wir sind da.", die Tür unterschied sich jedoch nicht von den anderen, die sie auf ihrem Weg gesehen hatten. Aus dem Raum hinter dieser Tür war jedoch eindeutlich eine Menge Gespräch zu hören.
Simone klopfte an, ohne jedoch auf eine Antwort aus dem Raum zu hoffen und nach ein paar Sekunden betraten sie dann zusammen den Raum.
"Was macht IHR denn hier?". Sofort hatte Toshi sie erblickt und machte einen überraschten Eindruck. Sie war ebenso altmodisch - jedoch viel bunter als der Herr aus dem Durchgang - gekleidet wie die anderen Jungen und Mädchen, die auf dem Boden saßen und ihre Gespräche bei dem Betreten der "Fremden" eingestellt hatten.
Nachdem ihnen klar wurde, dass Toshi die beiden kannte und offenbar sogar freundlich gesonnen war, waren sie sichtbar erleichtert. Die ersten verließen den Raum, weil sie Toshis Stimmenklang gedeutet hatten. Sie wollte mit den beiden alleine sein.

Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und die drei unter sich waren, wiederholte Toshi, inzwischen weniger überrascht, ihre Frage: "Wieso seid ihr hier? Und wieso hast Du ihn mitgebracht?"
Andreas begann, "Wir wollten wissen, was los ist.", er machte ein besorgtes Gesicht. Schließlich zeigte sich ein scheues Lächeln bei Simone: "und wir waren einfach neugierig!".
Auch Toshi wirkte nun wieder unbesorgter:
"Der Schnee ist ein Geschenk an Euch. Für die Anrufe und die lieben Briefe... für Blume, für Handy, für Thomas, für Lina...."


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